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Wednesday, July 17, 2024

Auch ich denke oft an ...

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So beginnt der heitere Roman des Hugo Hartungs "Ich denke oft an Piroschka", und so beginnt auch diese Geschichte die auch einmal erzählt werden muss denn wir haben doch wohl alle solch eine Piroschka-Geschichte in uns. So hat es begonnen:

Ich begann meine Lehre als Versicherungskaufmann in 1960. Lehrlinge in dieser Sparte waren Abiturienten, aber ich war bloß Volksschüler und knapp vierzehn Jahre alt, noch unrasiert und noch vor dem Stimmbruch.

Drei Jahre später hatte ich schon ausgelernt und war Sachbearbeiter in der Feuerversicherungs-Abteilung. Mir gegenüber saß ein neuer Lehrling, dieses Mal auch ein Volksschüler denn der Erfolg mit mir musste dem Bezirksdirektor Mut gegeben haben noch mehr am Geld zu sparen denn Jugendliche bekamen bloß ein halbes Gehalt. Dazu war dieser Lehrling auch noch ein Mädchen, fünfzehn Jahre alt aber sehr "erwachsen".

Obwohl ich schon ein ausgelernter Versicherungskaufmann war, hatte mein Lernen über Mädchen noch gar nicht angefangen, aber jedes Mal wenn ich von meinen Akten aufblickte sah ich gegenüber von mir dieses blonde "erwachsene" Mädchen. Nur ein scheues Lächeln und manchmal trafen sich unsere Füße unter dem Schreibtisch. Wie wir bei einem viel späteren Wiedersehen zugaben, wir waren beide noch völlig unerfahren.

Ein halbes Jahr später verlies ich die Versicherungsgesellschaft um besseres Geld als Baubuchhalter auf Montage zu verdienen welches es mir ermöglichte auf eigenen Beinen zu stehen - noch etwas wackelich aber zumindest weg vom elterlichen Zuhause. Weitere anderthalb Jahre später war ich auf dem Weg nach Australien und in ein neues Leben.

Meine Abschiedsfeier war im elterlichen Fetenkeller zu dem ich alle früheren Mitlehrlinge eingeladen hatte. Dieses blonde und jetzt schon sogar noch mehr "erwachsene" Mädchen war auch dabei. Wie es geschah weiß ich nicht mehr aber ich versprach ihr zu schreiben und tat es auch: eine Postkarte von Tilbury, von Papeete und Auckland, und dann nach meiner Ankunft in Australien, von meiner ersten Anstellung in Melbourne und dann von Canberra wo ich ein paar Monate später angeben konnte daß ich jetzt Angestellter bei einer großen australischen Bank war.

Als Bankangestellter ging mir immer viel Geld durch die Hände ohne viel selbst zu haben, und es war nur durch den Rückkauf einer kleinen Lebensversicherung die ich während meiner Lehrzeit angefangen hatte daß ich am Ende meiner zwei Pflichtjahre in Australien den kleinen Zahlungsrückstand in meiner Miete abzahlen konnte und mir gerade noch genug Geld übrig blieb für eine Schiffahrkarte nach Deutschland.

Im Leseraum der deutschen Botschaft in Canberra hatte ich eine Anzeige im "Hamburger Abendblatt" gelesen in der die Deutsch-Südamerikanische Bank am Jungfernstieg in Hamburg einen Bankangestellten suchte der später nach Südamerika gehen würde. Ich bewarb mich denn ohne Ersparnisse brauchte ich sofort nach meiner Ankunft eine Anstellung.

Es war schon Winter als das Schiff in Griechenland ankam und es wurde kälter und kälter je näher der Zug nach Deutschland kam. Die Ankunft bei meiner Mutter und Stiefvater was ebenso kalt und ich blieb nur für zwei Tage. Während dieser zwei Tage ging ich eines Abends zum ersten Mal zum Elternhaus dieses blonden "erwachsenen" Mädchens denn ich hatte ohnehin sonst nichts anderes zu tun. Ihre Mutter öffnete die Tür, ich stellte mich vor und wir gingen in die gute Stube. Da saß das blonde "erwachsene" Mädchen auf dem Sofa neben einem Mann der seinen Arm um sie hatte. Ihre Mutter stellte vor "Und das ist ihr Verlobter." Autsch!

Nach diesem peinlichen Besuch nahm ich den Zug nach Hamburg und dort ein Untermieterzimmer in Kiewitzmoor ganz außerhalb der Stadt. Ich verlies diese Bude früh morgens wenn es noch völlig dunkel war und kam von der Arbeit zurück wenn es wieder dunkel war. Während meiner kurzen Mittagspause gab es nur grauen Nebel und von Sonne keine Spur.

 

In der Nähe von meinem Arbeitsplatz am Neuen Jungfernstieg

 

Dann kam die Mittagspause in der ich ahnungslos die Marmortreppen ins Freie nahm als gerade zwei Direktoren heraufkamen. War ich nicht ein Angestellter der Bank, fragten sie mich. Dann sollte ich die kleine Tür nebenan benutzen. Ich ging gleich wieder die Treppen hoch und reichte meine Kündigung ein. So impulsiv habe ich mein ganzes Leben gelebt.

Ohne Geld und ohne Arbeit fuhr ich zurück in meine Heimatstadt wo ich glücklicherweise gleich eine neue Arbeit als Bankangestellter fand. Ich fragte meine Mutter und meinen Stiefvater ob ich bei ihnen wieder wohnen könnte aber die wollten ihre Ruhe haben und lehnten ab. Ohne es damals zu wissen taten sie mir damit einen großen Gefallen denn sonst wäre ich vielleicht hängen geblieben und mein Leben wäre nichts anderes gewesen als "schaffe, schaffe, Häusle baue und dann sterbe".

Zum Abschied traf ich mich noch einmal mit dem blonden "erwachsenen" Mädchen und wenige Monate später war ich schon in Südafrika und im nächsten Jahr wieder in Australien. Ganze fünfzehn Jahre gingen vorbei in denen ich impulsiv die Welt umreiste und gerade in Griechenland arbeitete als meine Stiefmutter mich anrief und mir sagte daß mein Vater gestorben sei. Ich flog zurück zur Beerdigung im Januar 1984. Es war wiederrum tiefster Winter und aus Langeweile rief ich wieder bei dem blonden und jetzt schon sechsunddreißig Jahre alten Mädchen an.

Ihre Mutter war am Telefon und ohne zu wissen wer ich war gab sie mir ihre neue Telefonnummer denn ihre Tochter war jetzt verheiratet und hatte ihre eigene Familie. Ich rief an und wurde dort zum Champagner-Früstück eingeladen denn ihr Mann war bei der Arbeit und ihre zwei Kinder in der Schule. An diesem langen Vormittag verriet sie mir ihre Mutter hätte damals gelogen und sie war damals noch gar nicht verlobt gewesen und sie hatte sich oft in den Jahren gefragt wie ihr Leben hätte verlaufen können falls sie mit mir nach Australien gekommen wäre. (Ich gestand ihr nie daß mein Anfang in Australien ganz schwer gewesen war und alles nur reichte um meinen eigenen Kopf übers Wasser zu halten.)

Sie wollte mit mir am nächsten Abend ausgehen, mußte aber erst ihren Mann um Erlaubnis bitten die sie auch bekam und am nächsten Abend holte ich sie mit dem Taxi ab. Wir gingen von Lokal zu Lokal, hatten Abendessen bei einem Griechen wo ich sie nicht nur mit meinen paar griechischen Sprachkenntnissen imponierte, und der Abend verlief mit mehr als nur scheuen Lächeln und Füßetreffen unter dem Tisch. Am nächsten Tag rief sie an und überraschte mich als sie sagte falls ich in einem Hotel übernachtet hätte wäre sie mit mir dorthin gegangen.

Ich bin kein Verbrecher und schon gar kein Ehezerbrecher und ging gar nicht darauf ein wenn sie mir später schrieb und vorschlug mich in Griechenland zu besuchen aber unser Schriftwechsel hielt dennoch an bis zum Schluß. All diese Brief die ich ihr seit meiner Auswanderung geschrieben hatte, hatte sie gut aufgehoben. In 2011 schickte sie mir einen Teil davon zurück in einem großen DHL-Packet mit den Worten "Doppelt so viel habe ich hier noch fallst Du sie haben möchtest."

Ich darf die Geschichte jetzt erzählen denn die Piroschka die ich damals kannte gibt es nur noch in meiner Erinnerung. Sie starb vor zwei Jahren.


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